„Das freiwillige soziale Jahr ist wichtig“ stellte Alexandra, Freiwilligendienstleistende zu Beginn der Diskussion im Oberhauser Kulturzentrum “Druckluft“ fest. Sowohl für die persönliche Entwicklung der jungen Menschen als auch für den sozialen Zusammenhalt in unserer Gesellschaft leiste der Bundesfreiwilligendienst und das Freiwillige Soziale Jahr einen enormen Mehrwert.
Eine Einschätzung, die auch Sandra Moskei, Leiterin Abteilung Pflege und Organisation der AWO Seniorendienste Niederrhein gGmbH, aus Trägersicht nur unterstreichen konnte: „Es ist immer wieder schön zu sehen, wie die jungen Menschen sich bei uns entwickeln. Teilweise kommen sie ohne Perspektive und Ziele zu uns und bekommen durch das FSJ persönliche Möglichkeiten aufgezeigt, die sie ohne das Jahr vielleicht nicht bekommen hätten.“
Die Bedeutung des FSJ für Verbände und die soziale Arbeit untermauerte auch Matthias Schmitten, Zentrum Freiwilligendienste, Diakonie RWL, da viele Menschen nach dem Freiwilligen Sozialen Jahr den Einrichtungen, Verbänden oder der sozialen Arbeit treu blieben. Vor diesem Hintergrund sei es keine Frage der Pflicht, sondern der Rahmenbedingungen, um dieses soziale Engagement noch attraktiver zu machen. Dazu gehöre zum Beispiel eine deutliche Taschengelderhöhung. Das stieß auf Zustimmung bei allen Teilnehmenden und mündete in der gemeinsamen Forderung an die Politik, die finanzielle Ausstattung zu verbessern, Bürokratie abzubauen und den Nahverkehr für FSJler*innen kostenfrei zu machen. Außerdem dürfe die Vergütung nicht an Sozialleistungsbezügen angerechnet werden.
Auch wenn das soziale Jahr für viele Freiwilligendienstleistenden eine persönliche Bereicherung ist, berichteten in der weiteren Diskussion Teilnehmende von spürbarem Druck auf ihren Schultern, da es angesichts des Fachkräftemangels Einrichtungen gäbe, die die FSJler*innen als Vollzeitkraft einsetzen, um Personalengpässe zu überbrücken. Eine Tendenz, die sich durch ein soziales Pflichtjahr zweifellos verschärfen würde. Verdi-Gewerkschaftssekretär Severin Brinkhaus machte deutlich, dass das ein Punkt sei, der gar nicht gehen würde: „Wir haben beispielsweise in der Pflege einen enormen Personalmangel und hier vorzuschlagen, dass die Situation sich durch ein soziales Pflichtjahr verbessern würde, ist absurd. Die Politik hat es verschlafen, für gute Arbeitsbedingungen zu sorgen und es ist Aufgabe der Politik dies zu ändern. Junge Freiwilligendienstleistende nun auszubeuten und als Vollzeitkraft anzusehen ist ätzend. So verlieren wir höchstens junge Leute im Pflegebereich“.
Sauer beim Thema Pflichtjahr wurde Andrew, Vertreter des Bezirksjugendwerkes und Freiwilligendienstleistender: „Bei der Forderung nach einem sozialen Pflichtjahr kommt es so rüber, als wären wir junge Leute nicht sozial genug und würden nichts für die Gesellschaft machen. Das ist falsch.“ Matthias Schmitten erklärte, dass die Debatte um ein Pflichtjahr eine Scheindebatte sei, da dieses weder gesetzlich noch finanziell umsetzbar wäre. Ebenso wenig hält Sabrina Moskei vom sozialen Pflichtjahr: „Es klingt im ersten Augenblick natürlich super, wenn ich weiß, dass ich jedes Jahr genügend Leute für meine Einrichtungen habe, aber wir wollen den jungen Leuten natürlich auch etwas bieten, eine gute Begleitung ermöglichen, ansprechbar für sie sein. Dies würde womöglich hinten rüber fallen, wenn das Pflichtjahr eingeführt wird und evtl. zu viele Leute auf die Einrichtungen verteilt werden müssen. Denn aktuell haben wir gut 100.000 größtenteils motivierte Freiwillige. Bei einem Pflichtjahr wären es ca. 700.000, für die wir weder Plätze noch Betreuung haben und die vermutlich auch nicht alle so engagiert wären.“
In einer Abstimmung zum Ende der Diskussion waren sich die Anwesenden einig, dass das Freiwillige Soziale Jahr super sei, um Erfahrungen zu sammeln, Jobbereiche ausprobieren zu können und sich persönlich weiterzuentwickeln. Daraus ein Pflichtjahr zu machen sei allerdings der verkehrte Ansatz. Dafür gab es dann auch Applaus von der interessiert lauschenden AWO Präsidiumsvorsitzenden Britta Altenkamp.