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17 16 7. UNTERSTÜTZUNG VON BETROFFENEN Für viele Mädchen* und Frauen* ist es aus ganz unterschiedlichen Gründen nicht möglich, über ihre Beschneidung zu sprechen. Es kann sein, dass manche noch gar nicht wissen, dass der Eingriff negative Folgen haben kann und deshalb manche Beschwerden nicht mit ihrer Beschneidung verknüpfen. Sie sehen das, was ihnen viele Jahre gesagt wurde: Beschneidung ist etwas Gutes und macht eine erst zur Frau*. Dies haben sicher viele verinnerlicht, da sie in diesem Glauben sozialisiert wurden. So wie es in Deutschland ebenfalls Dinge gibt, die Menschen von Kindesbeinen an erzählt wird und an das sie dann glauben. Es ist somit besonders wichtig, dies bei der Aufklärung zu den negativen Folgen von Beschneidung zu berück- sichtigen. Des Weiteren braucht es viele Gespräche und Geduld, um einmal erlerntes und von Kindesbeinen an verinnerlichtes Wissen hinterfragen zu können – diese Zeit sollte jede*r gegeben werden. Möglich ist aber auch, dass sich betroffene Mädchen* und Frauen* schämen über den Eingriff zu sprechen, weil es sich um ein sehr intimes Thema handelt, das nur in vertrauten Beziehungen bespro- chen werden kann. Das Sprechen über Sexualität in der Öffentlich- keit fällt auch jungen Frauen * in Deutschland schwer, da gerade weibliche Lust und Sexualität auch hier große Tabuthemen sind. Erschwerend kommt hinzu, dass betroffene Mädchen* und Frauen* spüren, dass der Eingriff hier in Deutschland stark abgelehnt wird. Vielleicht haben sie auch schon mitbekommen, dass Menschen hier über eine „barbarische Tradition“ oder einen „schrecklichen und menschenrechtswidrigen Eingriff“ sprechen, was dazu führt, dass es Mädchen* und Frauen* schwer fällt, ihre Erlebnisse oder Folgen des Eingriffs offen anzusprechen. In den meisten Medien oder von Zugehörigen der deutschen, weißen Mehrheitsgesellschaft wird FGM_C oft in rassistischer Weise the- matisiert und so getan als handle es sich um etwas, das „typisch“ für die „rückständigen und unemanzipierten Menschen“ und (besonders unterdrückten Frauen*) aus afrikanischen Ländern sei. Die eigenen rückständigen, gesellschaftlichen Strukturen dagegen bleiben un- thematisiert, stattdessen wird mit dem Finger auf die so genannten „Anderen“ gezeigt. Das sind Erfahrungen, die Menschen sehr häufig machen, insbesondere muslimische Frauen*, denen oft mangelnde Emanzipation unterstellt wird 2 . Diskussionen dieser Art können auf betroffene Mädchen* und Frauen* sehr verletzend wirken und dazu führen, dass sie ihre eigene Beschneidung nicht ansprechen wollen und können, was wiederum dazu führt, dass sie keine Unterstützung im Umgang mit möglichen Folgen bekommen. Ein weiteres Hindernis bringen manche Berichterstattungen in deutschen Medien mit sich. Im Rahmen dieser wird über weibliche* Genitalbeschneidung gesprochen, ohne auf den gesamtgesellschaft- lichen Kontext einzugehen, ohne zu beleuchten warum weibliche* Genitalbeschneidung durchgeführt wird. Am Ende entsteht der Eindruck, Eltern würden ihre Kinder grundlos oder schlimmer noch, aus mangelnder Liebe heraus, quälen wollen. Dass das Gegenteil der Fall ist und Eltern ihre Töchter beschneiden lassen, um ihnen einen guten gesellschaftlichen Platz zu sichern, bleibt in dieser Bericht- erstattung meist außen vor. In dieser Form gestaltete Berichte sind rassistisch und von kolonialen Vorstellungen geprägt. Sie be- dienen weiterhin das Bild der ‚unterentwickelten, rückschrittlichen, unemanzipierten Afrikaner*in, das im Gegensatz zu der‚ entwickel- ten, modernen und emanzipierten weißen Europäer*in steht. Auch diese Darstellungen wirken auf betroffene Mädchen* und Frauen* und können am Ende dazu führen, dass sie sich keine Unterstützung/ keine Beratung holen wollen, aus Angst vorverurteilt und respektlos behandelt zu werden. Zudem berichten nahezu alle von FGM_C betroffenen Frauen*, die in der Studie interviewt wurden, über negative Erfahrungen mit Ärzt*innen. Dies macht deutlich, wie wichtig informierte, sensibili- sierte, aufgeklärte und im angemessenen Umgang mit Betroffenen geschulte Fachkräfte sind. ……………………………………………… 2. An dieser Stelle wird der Mechanismus des „Othering“, also des „Anders- Machens“ beschrieben. Othering meint die Abgrenzung einer gesellschaftlich domi- nanteren Gruppe (Mehrheitsgesellschaft) von einer anderen Gruppe, die als „fremd- und andersartig“ beschrieben und abgewertet wird. Die dominantere Gruppe bestimmt so, was die „Norm“ in einer Gesellschaft ist.

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