"Der assistierte Suizid wurde in der Debatte im Bundestag vorwiegend isoliert von anderen gesellschaftlichen Entwicklungen diskutiert. Das Thema ist aber komplex und muss mit vielen Faktoren zusammen gedacht werden, wenn es eine ethisch vertretbare Lösung geben soll. Aktuell steuern wir in naher Zukunft auf eine Situation zu, in der es einfacher ist, Suizidassistenz zu bekommen als Zugang zu Suizidprävention und (bezahlbarer) Pflege – von guter palliativer Pflege für alle Betroffenen ganz zu schweigen. Verschärfend kommt hinzu, dass in unserer leistungsorientierten Gesellschaft ein extrem diskriminierendes Bild von Alter vorherrscht. Das birgt die Gefahr, den Druck auf Entscheidungen für einen Suizid massiv zu erhöhen. Die Politik ist hier in der Hauptverantwortung für eine der Thematik angemessene nationale Suizidpräventionsstrategie und die umfassende Finanzierung von Alternativen. Der Bundestag muss unverzüglich entsprechende Versäumnisse aufholen, um dieser Schieflage entgegenzuwirken."
Der AWO Bundesverband hat die Komplexität der Thematik des assistierten Suizids früh erkannt und bereits mit einem intensiven internen Auseinandersetzungsprozess begonnen. Dessen Grundlage sind die ‚Leitplanken aus Sicht der AWO zum Umgang mit der Beihilfe zum Suizid im Rahmen der AWO-Abschiedskultur‘, die bereits 2020 in erster Version veröffentlicht wurden. Nach einer weiteren intensiven Beschäftigung der AWO-Ethikkommission mit dem assistierten Suizid werden diese heute in überarbeiteter Version veröffentlicht.
Sonnenholzner dazu: "In unseren Leitplanken betonen wir, dass wir als AWO den assistierten Suizid als eine Art des Sterbens anerkennen und diesen als Ultima Ratio in die Arbeit unserer Einrichtungen integrieren. Die Anerkennung als eine Art des Sterbens heißt aber nicht die Anerkennung als ‚normale‘ Art des Sterbens. Das ist ein schmaler Grat, vor dem wir nicht zurückschrecken wollen. Aber wir stoßen mit unserem Fokus auf Suizidprävention an Grenzen, weil die Alternativen zu einem assistierten Suizid nicht annähernd ausreichend ausgebaut und finanziert sind. Beispiel palliative Versorgung: Theoretisch ermöglicht die palliative Versorgung ein würdevolles und selbstbestimmtes Sterben, praktisch ist sie vielerorts schlicht nicht ausreichend finanziert - verschärfend hinzu kommt der Fachkräftemangel in der Pflege insgesamt. Eine angemessene finanzielle Absicherung palliativer Versorgung in stationären Einrichtungen der Altenhilfe ist lange überfällig und gerade vor dem Hintergrund der Neuregelungen des assistierten Suizids notwendiger als je zuvor."
Zur den "Leitplanken aus Sicht der AWO zum Umgang mit der Beihilfe zum Suizid im Rahmen der AWO-Abschiedskultur"