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AWO Bezirksverband Niederrhein e.V. | Detail

Die Chance ergreifen und den Schwangerschaftsabbruch neu regeln

Schwangerschaft & Sexualität

Am 14.11.2024 wurde ein Antrag zur Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs in den Deutschen Bundestag eingebracht. Dieser Gruppenantrag bietet die Chance, den Schwangerschaftsabbruch neu zu regeln, Frauenrechte zu stärken und ihnen eine gute Gesundheitsversorgung zu ermöglichen. In einem Brief an die niederrheinischen Bundestagsmitglieder werben Präsidiumsvorsitzende und Vorstände des AWO Bezirksverbands Niederrhein nun um Zustimmung zu dem Antrag. Den Brief dokumentieren wir hier:

Sehr geehrte Mitglieder des Deutschen Bundestags,

am 14.11.2024 wurde ein Antrag zur Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs in den Bundestag eingebracht. Als AWO Bezirksverband Niederrhein e.V. bitten wir Sie, diesem Gruppenantrag zuzustimmen und sich dafür einzusetzen, dass dieser in dem Zeitfenster bis zur Neuwahl das parlamentarische Verfahren durchlaufen kann.

Der vorgelegte Entwurf greift zwar unsere Position zur Neuregelung des Abbruches nicht in Gänze auf, aber er enthält wesentliche Verbesserungen für die betroffenen schwangeren Personen. Darum befürworten wir diesen Gesetzentwurf.

Bürokratische und logistische Hürden beim Zugang zu einem Schwangerschaftsabbruch verursachen bei der aktuellen Regelung enorme Belastungen und Stresssituationen für ungewollt Schwangere – verhindern jedoch keine Abbrüche.

Ungleich härter betroffen sind ungewollt Schwangere in vulnerablen Situationen, die etwa die Schwangerschaft geheim halten müssen, auf dem Land wohnen, kleine Kinder oder Angehörige betreuen, berufstätig sind oder die Kosten für einen Abbruch von bis zu 600 Euro nicht stemmen können. Wer mehr als 1.446 Euro netto verdient, muss derzeit die Kosten für einen Schwangerschaftsabbruch (ca. 350 bis 650 Euro) selbst tragen. Eine Regelung außerhalb des Strafgesetzes macht den Weg frei, das Beenden einer Schwangerschaft regulär über die Krankenkasse abzurechnen. Somit fiele zukünftig eine große Zugangshürde weg.

Ärzt*innen brauchen Rechtssicherheit.

Ärzt*innen werden von der Strafbarkeit abgeschreckt, sichere Schwangerschaftsabbrüche als Teil ihres Leistungsspektrums anzubieten. In manchen Landesteilen finden ungewollt Schwangere deshalb schwer eine*n Ärzt*in und müssen lange Wege zurücklegen. Wenn sich das Gesetz nicht ändert, werden voraussichtlich noch weniger Ärzt*innen Schwangerschaftsabbrüche vornehmen. Schon jetzt sind 85 von 400 Landkreisen in Deutschland unterversorgt. Hingegen wären mehr Gynäkolog*innen bereit, den Schwangerschaftsabbruch in ihre Versorgungsangebote zu integrieren, wenn sich die Rahmenbedingungen dafür verbessern. Danach befragt befürworten 75 % die Streichung des § 218 StGB, um die Versorgung zu verbessern bzw. die ärztliche Tätigkeit zu erleichtern.

Deutschland hat eines der restriktivsten Gesetze zum Schwangerschaftsabbruch in Europa

Das deutsche Gesetz zum Schwangerschaftsabbruch ist seit mehr als einer Generation nicht mehr grundsätzlich reformiert worden. Gleichzeitig sichern immer mehr Länder in Europa derzeit das Recht auf Zugang zum Schwangerschaftsabbruch ab (bspw. Frankreich), schaffen strafrechtliche Bestimmungen ab (bspw. Belgien) und heben Beschränkungen auf (bspw. Spanien). 

Auch in Deutschland unterstützt ist die Mehrheit der Wähler*innen eine Regelung des sicheren Schwangerschaftsabbruchs außerhalb des § 218.

In einer repräsentativen Bevölkerungsbefragung im Frühjahr 2024

  • stimmten mehr als 80% der Befragten (mehr als 70% in allen Wähler*innengruppen) folgenden Aussagen zu: „Es ist das Recht von Frauen, sich frei bis zur 12. Woche einer Schwangerschaft für einen Abbruch entscheiden zu können.“ und „Frauen sollen in Zukunft in Deutschland die Freiheit haben, über einen Abbruch der Schwangerschaft bis zur 12. Woche zu entscheiden.“
  • stimmten mehr als 60% (mehr als 50% in allen Wähler*innengruppen) der Aussage zu „Die Kosten für einen Schwangerschaftsabbruch in den ersten zwölf Wochen sollten von der Krankenkasse übernommen werden.“
  • hielten es mehr als 80% (mehr als 67% in allen Wähler*innengruppen) für falsch, dass im deutschen Recht ein Schwangerschaftsabbruch, zu dem sich eine ungewollt schwangere Frau nach einer Beratung entscheidet, als rechtswidrig gilt.
  • waren mehr als 75% (mehr als 60% in allen Wählergruppen) der Meinung, dass frühe Schwangerschaftsabbrüche (in den ersten 12 Wochen) zukünftig eher nicht im Strafgesetzbuch geregelt werden sollten: Wählerinnen und Wähler der CDU/CSU: 72%, der SPD: 84%, der Grünen: 86%, der FDP: 78%, der Linken: 96%, der AfD: 61,5%.

Jetzt ist der richtige Zeitpunkt für Veränderung.

Wir blicken zurück auf einen langen Weg geprägt von vielen Jahren der gesellschaftlichen, juristischen, wissenschaftlichen und politischen Auseinandersetzung. Auch durch die Arbeit der Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin liegen alle jetzt nötigen Informationen und Argumente auf dem Tisch. Großer gesellschaftlicher Zuspruch, die Unterstützung der großen Mehrheit der zivilgesellschaftlichen Verbände und Fachverbände, eine solide Datengrundlage zur Situation in Deutschland, Empfehlungen einer Expert*innenkommission und internationaler Menschenrechtsgremien – die Voraussetzungen für eine Gesetzesänderung könnten nicht besser sein.

Alle Mitglieder des Bundestags stehen in der Verantwortung, Frauenrechte zu stärken und ihnen eine gute Gesundheitsversorgung zu ermöglichen. Darum bitten wir Sie um Zustimmung zu dem fraktionsübergreifenden Antrag. 

Für weitere inhaltliche Fragen steht das AWO Lore-Agnes-Haus in Essen als eine weit über die Grenzen des Niederrheins bekannte Anlaufstelle für alle Fragen und Probleme rund um Sexualität, Familienplanung, Schwangerschaft und Schwangerschaftsabbruch gerne zur Verfügung und freut sich auf Ihren Besuch oder eine Kontaktaufnahme. 

Mit freundlichen Grüßen

Britta Altenkamp, Präsidiumsvorsitzende
Kerstin Hartmann, Vorständin
Michael Rosellen, Vorstand

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Das Foto zeigt eine Gruppe von Menschen, die in einem hellen Raum stehen. Sie halten einen großen roten Banner, auf dem die Worte „Abtreibung in Deutschland legalisieren!“ zusammen mit dem Logo der AWO (Arbeiterwohlfahrt) Niederrhein abgebildet sind. Einige Personen halten Kleiderbügel hoch, was ein Symbol für die gefährlichen Folgen illegaler Abtreibungen ist. Im Hintergrund sind Fotos an der Wand und Fenster mit Blick nach draußen zu erkennen.